Israelische Eltern sind glücklich,
wenn ihre Kinder ihnen nicht ähnlich sehen, Kinder werden in Israel auf das
unglaublichste verwöhnt.
Wer in einem zum Bersten vollen Autobus besteigt und
ein Kind im Lebendgewicht von 5 Kilogramm auf dem Arm trägt, bekommt sofort
einen Sitzplatz. Wer einen 50 Kilogramm schweren Sack auf dem Rücken hat, muss
stehen.
Nicht alle israelischen Kinder sind Genies; nur 85 bis 90%. Unter
den restlichen 10 bis 15% findet sich eine ausreichende Anzahl von geistig
Minderbemittelten. Keine ausgebildeten, denn das Schulsystem in Israel ist nicht
verstaatlicht. Naturbelassene. Ein solcher war Achimaaz, von dem nunmehr die
Rede sein soll.
Das ganze Unglück begann damit,
dass ich an einer neuen Sorte amerikanischer Schuhe, ihrer Gummisohlen wegen
allgemein als "Rubber Soles" genannt, besonderen Gefallen fand. Ich wollte mir
unbedingt ein Paar kaufen und betrat zu diesem Zweck das Schuhgeschäft von Herrn
Leicht am Mograbi Square.
"Herr Leicht", sagte ich, "ich
möchte ein Paar echte Rubber Soles, sämisch, mit amerikanischen Spitzen."
"Einen Augenblick", sagte Herr
Leicht und begann seine Regale zu durchstöbern. Es zeigte sich, dass Herr Leicht
Rubber-Soles-Schuhe, Sämischlederschuhe und Schuhe mit amerikanischen Spitzen
hatte, aber kein einziges Paar, das alle drei Qualitäten in sich vereinigte.
Angesichts meiner deutlich zur Schau getragenen Enttäuschung erklärte er sich
bereit, einen Botenjungen in sein Filialgeschäft zu schicken, welches sich
gegenüber der Hauptpost befand.
"In ein par Minuten haben Sie Ihre
Schuhe", sagte er wörtlich und winkte einen Botenjungen heran, einen kleinen
Jemeniten von etwa 14 Jahren, dessen außergewöhnlich geringer Intelligenzgrad
sich sofort feststellen ließ.
"Höre Achimaaz", sagte Herr Leicht
langsam und deutlich. "Du gehst jetzt in unser Zweiggeschäft gegenüber vom
Hauptpostamt und verlangst dort ein Paar Rubber Soles, sämisch, amerikanisch,
Nummer 7. Die bringst du her. Hast du verstanden?"
"Wozu?", antwortete
Achimaaz.
"Na ja", Herr Leicht wandte sich entschuldigend an mich. "Es wäre
vielleicht besser, wenn wir dem kleinen Schwachkopf Ihre Schuhe mitgeben, sonst
bringt er die falsche Größe". Ich zog meine Schuhe aus, die Herr Leicht in eine
leere Schachtel tat und dem Botenjungen übergab.
"Also Achimaaz: Rubber
Soles, sämisch, amerikanisch, Nummer 7. Wirst du dir das merken? Ja? Dann lauf!"
"Herr Leicht", stammelte Achimaaz, "ich weiß nicht, wohin ich gehen soll,
Herr Leicht."
"Du weißt doch wo die Hauptpost ist?"
"Ja, das weiß
ich."
"Also. Worauf wartest du noch? Es eilt!"
Nach 2 Stunden und 20
Minuten, in denen ich ohne Schuhe dasaß, wussten weder Herr Leicht noch ich,
worüber wir noch sprechen sollten, um unsere Nervosität zu verbergen. Alle
gängigen Konversationsthemen, vom Wachstum Tel Avivs bis zur Aufnahme Chinas in
die UNO, waren bereits erschöpft. Endlich wurde die Türe aufgerissen und
Achimaaz stand auf der Schwelle, vollkommen atemlos und mit vollkommen leeren
Händen.
"Nu?!", Herr Leicht sprang auf ihn zu. "Wo sind die Schuhe?"
"Mit der Luftpost abgegangen", sagte Achimaaz und holte tief Atem.
Sie sofort angestellten
Nachforschungen ergaben folgenden Hergang: Der verwirrte Knabe war in strikter
Befolgung der letzten Instruktion, die Herr Leicht ihm erteilt hatte, direkt
aufs Hauptpostamt gerannt und hatte sich dort an die Schlange vor dem Schalter
Nummer 4 angereiht, weil sie die längste war. Er kam nur langsam vorwärts, denn
am Schalter Nummer 4 werden die eingeschriebenen Briefe abgefertigt und ein Bote
des Postministeriums hatte ihrer gerade 1200 mitgebracht. Endlich aber war
Achimaaz doch an der Reihe.
Erlöst schob er dem Beamten die
Schachtel mit meinen alten Schuhe unter die Nase und sagte brav das Eingelernte
auf:
"Rubber Soles Sämisch, Amerika Nr. 7."
"Schalter 8", sagte der
Beamte. "Bitte weitergehen."
Achimaaz wechselte zur Schlange vor dem
Schalter 8, wo die übergewichtigen Briefe gewogen werden.
Auch dort
wiederholte er sein Sprüchlein:
"Rubber Soles, Sämisch, Amerika Nr. 7."
"Das ist kein Brief", sagte der Beamte. "Das ist ein Packet."
"Macht
nichts", sagte Achimaaz. "Herr Leicht will es so."
"Na schön." Der Beamte
zuckte die Schultern und legte die Schachtel auf die Waage. "Das wird dich ein
Vermögen kosten. Wohin solls gehen?"
"Rubber Soles Sämisch, Amerika Nr. 7."
Der Beamte sah im Postgebührenverzeichnis unter "Amerika" nach und errechnete
die Luftpostgebühr für das entsprechende Gewicht. "3 Pfund 10 Piaster. Mit
Eilzustellung?"
"Warum eil?"
"Ist es eilig?"
"Sehr eilig!"
"Macht 58 Piaster mehr. Hast du so viel Geld bei dir Junge?"
"Ich glaube
schon." Erst jetzt bemerkte der Beamte, dass auf der Schachtel keine wie immer
geartete Adresse angebracht war.
"Was soll das? Warum hast du keine Adresse
geschrieben?"
"Ich kann nicht sehr gut schreiben", entschuldigte sich
Achimaaz und wurde knall rot. "Wir sind 8 Kinder. Mein ältester Bruder ist schon
im Kibbuz und ...."
"Schon gut", unterbrach ihn der Beamte, dessen weiches
jüdisches Herz soeben die Oberhand gewonnen hatte, und griff nach einer Feder,
um das Packet selbst zu adressieren.
"An wen geht das also?"
"Rubber
Soles Sämisch, Amerika Nr. 7", flüsterte in wachsender Verschüchterung der Knabe
Achimaaz.
"Rabbi Sol. Sämisch, USA", schrieb der Beamte auf das Paket und
knurrte etwas von diesen amerikanischen Juden, die sogar ihre biblischen
Vornamen abkürzen und statt "Solomon" nur "Sol." sagen; dann unterbrach er sich
aufs neue: "Welche Stadt, zum Teufel? Welche Strasse?"
"Herr Leicht hat
gesagt: Gegenüber vom Hauptpostamt."
"Das genügt nicht."
"Rubber Soles,
Sämisch, Amerika Nr. 7", wiederholte Achimaaz tapfer. "Mehr hat Herr Leicht
nicht gesagt."
"Wirklich ein starkes Stück ....". Der Beamte schüttelte den
Kopf und vervollständigte mit erfahrungssatter Sicherheit die Adresse: "Postfach
Nr. 7 Brooklyn, N.Y., USA."
"Wer ist der Absender?"
"Herr Leicht."
"Wo wohnt Herr Leicht?"
"Ich weiß nicht. Sein Geschäft ist auf dem
Mograbi Square."
Das war der Hergang, soweit er sich rekonstruieren ließ.
Als ich vor einigen Tagen wieder am
Schuhgeschäft Leicht vorbeikam, winkte mich Herr Leicht in den Laden und zeigte
mir stolz einen Brief von Rabbi Sämisch aus Hartford, Conneticut. (Die falscher
Brooklyner Adresse war von der findigen amerikanischen Post richtiggestellt
worden.) Rabbi Sämisch bedankte sich herzlich für das hübsche Geschenk, bemerkte
jedoch, dass er im allgemeinen neue Schuhe vorzöge, weil sie länger hielten. Im
übrigen hätte ihn die kleine Aufmerksamkeit, obwohl er sich seit jeher lebhaft
für die zionistische Bewegung interessierte, doch ein wenig überrascht.